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Elektrothermische Simulation: neue Möglichkeiten der Optimierung von HV-Bordnetzen

21. DEZ 2020

Diskussionen über Simulation und ihre Potenziale werden derzeit oft im Zusammenhang mit dem sogenannten digitalen Zwilling geführt. Auch wenn ihr in Bezug auf diese Thematik sicherlich eine Schlüsselrolle zukommt, bietet Simulation weitere große Potenziale wie beispielsweise in der Auslegung und Optimierung von Hochvolt-Leitungssätzen. Uns bei LEONI ist hierbei der Systemgedanke wichtig, um die Interaktion des kompletten HV-Bordnetzes zu betrachten. In diesem Beitrag möchte wir aufzeigen, an welcher Stelle die elektro-thermische Simulationsmethode in Form von thermischen Netzwerken ansetzt und wie LEONI das bereits vorhandene Know-how anwendet, um seine Kunden bereits ab der Vorentwicklung mit den Vorteilen dieser Methode zu unterstützen.

 

Grenzen klassischer Auslegung

Im einfachsten Fall erfolgt die Auswahl von Steckern und Leitungsquerschnitt mittels Derating-Kurven und anhand von Strom-Zeit Diagrammen (Time current characteristics plots / TCC-Plots). Während Erstere eine treffliche Aussage für die dauerhafte Stromtragfähigkeit ermöglichen, kann mittels der TCC-Plots eine Aussage über die Strombelastbarkeit aufgrund eines einmaligen Strompulses erfolgen. Diese etablierten Diagramme ermöglichen eine schnelle (erste) Abschätzung der Stromtragfähigkeit für Dauerströme und einmalige Pulse.

Im Fahrzeug setzt sich die Strombelastung jedoch aus einem Mix eben solcher zusammen. Die hieraus resultierenden Temperaturen lassen sich jedoch nicht mehr trefflich aus den genannten Diagrammen ableiten und zeigen damit den gängigen Dimensionierungsmethoden klare Grenzen auf.

Weiterhin werden Hochvolt-Bordnetz-Systeme größtenteils geschirmt ausgeführt. Entsprechend ist damit zu rechnen, dass Schirmströme im HV-Bordnetz auftreten. Diese zusätzlichen ohmschen Verluste, bedingt durch induzierte oder vagabundierende Ströme, beeinflussen die Stromtragfähigkeit.

Um die oben genannten Effekte und die thermische Interaktion von Kabeln, Steckverbindern und Komponenten berücksichtigen zu können, sind die klassischen Diagramme schlichtweg nicht ausreichend. An dieser Stelle setzt der Lösungsansatz der thermischen Netzwerke an.

 

Simulation mittels thermischer Netzwerke

Blick auf HV-Bordnetz Komponenten in einem E-Fahrzeug

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Als thermische Netzwerke werden eindimensionale Ersatzschaltbilder zur vereinfachten Beschreibung der elektro-thermischen Interaktion von Strom, erzeugter temperaturabhängiger ohmscher Verlustleistung und Umgebungstemperatur bezeichnet. Durch geschickte Verschaltung lassen sich Modelle für Leitungen und Kontaktierungs-Systeme ableiten und mittels Simulationstools berechnen. Diese Modelle werden in der Regel von 3D- FEM-Modellen und/ oder aus (begleitenden) Messungen abgeleitet. Die Beschreibung mittels thermischer Netzwerke bietet an dieser Stelle einige Vorteile: Validierte Modelle bieten für die Auslegung von Bordnetzkomponenten im Fahrbetrieb eine gute Berechnungsgenauigkeit, bei gleichzeitig kurzen Berechnungszeiten – auch für zeitaufgelöste Stromprofile. Dies ist einer der Schlüsselfaktoren, um reelle Stromprofile zur Auslegung heranziehen zu können. 


Modellaustausch auf Basis des ZVEI-Leitfadens

Ein weiterer entscheidender Punkt für den Erfolg der Methode wurde im ZVEI (Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie) durch den „technischen Leitfaden TLF0101“ (Thermosimulationsmodelle von HV-Leitungssätzen) geschaffen. Vor allem die hinreichend genaue Abbildung der Kontaktierungs-Systeme stellte OEMs und Konfektionäre vor die Herausforderung der Erstellung eines belastbaren Modelles dieser Komponenten. Relevante Details zur Erstellung eines Simulationsmodelles unterlagen oftmals dem schützenswerten Know-how der Hersteller. Somit gestaltete sich der unternehmensübergreifende Austausch der Parameter im geforderten Detailierungsgrad als herausfordernd. Diese Lücke schließt der TLF des ZVEI. Unter Mitwirkung von LEONI wurde in enger Zusammenarbeit mit OEMs, Konfektionären und den Herstellern von Kontaktierungs-Systemen und Kabeln, Standardformate erarbeitet. Diese basieren auf der Grundlage des Austausches der vordefinierten Parameter-Sätzen, welche wiederum zur Erstellung der Netzwerke der einzelnen Sub-Komponenten definiert wurden.

 

Ersatzschaltbild eines Steckkontakts nach ZVEI-Standard

Daraus resultieren geeignete Übergabeparameter, ohne dass schützenswerte Details offengelegt werden müssen. Damit lassen sich anschließend komplette HV-Leitungssätze nachbilden. 


Potenziale der thermischen Netzwerke voll ausschöpfen

Mittels der applikationsspezifisch gestalteten Modelle lässt sich die unmittelbare Temperaturantwort des Leitungssatzes berechnen. Vorbelastungen bedingt durch die Bestromungs-Historie lassen sich trefflich abbilden. Somit kann die Effektivwertbildung von Strömen, wie es bisher oftmals der Fall war, vermieden werden und es ergibt sich ein deutlich klareres Bild der Temperatur-Verteilung im Leitungssatz. Durch die hohe Berechnungsgenauigkeit und der Option weitere beeinflussende Faktoren wie Leitungsschutz, Schirmströmen und Alterungseffekten von Steckverbindern mit in die Berechnung zu integrieren, ergibt sich keine Notwendigkeit zu hohen Sicherheitsaufschlägen auf die Stromwerte. Da sich die Stromstärke quadratisch auf die Verlustleistung auswirkt, gehen somit oftmals auch Potenziale zum Downsizing und zur Reduktion von Leitungsquerschnitten einher.

 

Exemplarische Darstellung eines Schaltplanes, der die Simulation mittels thermischer Netzwerke anhand des Wärmeflusses eines Kabels darstellt.

In Kooperation mit Rosenberger wurde der ZVEI-Ansatz weitergedacht. Da der Leitungssatz durch elektrisch leitfähige Materialien mit den Komponenten (Batterie, Vehicle Inlet Inverter, BJB, etc.) verbunden ist, geht dies zwangsweise auch mit einer thermischen Interaktion einher. Um diese weitere relevante Beeinflussung auf den Leitungssatz abbilden zu können, wurde in der Zusammenarbeit ein parametrisierbares Komponenten/Aggregate-Modell weiterentwickelt. Dieses bildet den thermischen Einfluss auf den Leitungssatz ab. Der Modellansatz wurde bereits messtechnisch abgeglichen und ist in beiden Häusern die Grundlage, um die Temperatur-Wechselwirkung auf den Leitungssatz zukünftig noch realitätsnäher abbilden zu können.


Fazit: Reduktion von Leiterquerschnitt, Gewicht und Entwicklungszeit möglich

Mittels thermischer Netzwerke lassen sich die ortsaufgelösten Temperaturen aufgrund von Stromwärme in HV-Leitungssätzen nicht nur mit hoher Genauigkeit, sondern auch in sehr kurzer Zeit berechnen. Die hohe Genauigkeit der Berechnungsmethode entfaltet ihr volles Potenzial in Kombination mit realitätsnahen (zeitabhängigen) Stromprofilen. Da die primären Einflussfaktoren auf die Temperatur des HV-Leitungssatzes mit in das Simulationsmodell inkludiert werden können, besteht keine Notwendigkeit für hohe Sicherheitsaufschläge auf die Stromwerte. Da der Stromwert mitunter der primäre Einflussfaktor auf die Temperatur ist, offenbart dies Potenzial zur Querschnittsreduktion und Gewichtseinsparung. Durch den Technischen Leitfaden des ZVEI wurde ein Standard geschaffen, der den unternehmensübergreifenden Austausch der Parameter zur Beschreibung von Kontaktierungssystemen und Kabeln beschreibt, ohne dass die Lieferanten hierfür schützenswerte Details über ihre Konstruktionen offenlegen müssen.

LEONI übernimmt hierbei eine Vorreiterrolle. Wir beherrschen die Simulation mittels thermischer Netzwerke nicht nur, sondern denken den aktuellen ZVEI Leitfaden bereits weiter. Somit können die OEMs bereits ab den frühen Entwicklungsphasen von unserem Know-how zur System-Auslegung von HV-Bordnetzen profitieren.

 

AUTOR

Michael Dauer

Expert Simulation

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