© Tierney - stock.adobe.com

Künstliche Intelligenz (KI) bei LEONI – Hype or Hope?

04. MAI 2023

Unsere Reise zur Nutzung des Potenzials von KI

Künstliche Intelligenz (KI) ist gefühlt überall und soll bei allem helfen. Aber funktioniert das auch im Bordnetz-Bereich? LEONI untersucht, wo und wie KI bei der täglichen Arbeit unterstützen kann – teils mit überraschenden Erkenntnissen.

Im Jahr 2018, auf dem Höhepunkt des Hypes um Deep Learning (einer Form von KI), haben wir begonnen, nach Einsatzmöglichkeiten für KI zu forschen. Gespräche mit Mitarbeitern ergaben jedoch, dass kaum Bedarf für KI gesehen wurde. Vielmehr äußerten sie den Wunsch nach regelbasierter Prozessautomatisierung, um die Organisation im Back-Office-Bereich von zeitraubenden Routineaufgaben zu entlasten. Die „low hanging fruits“ für ihren Arbeitsalltag waren ihnen wichtiger als ausgefallene High-Tech-Anwendungen.

Diese Antwort war für mich als KI-Befürworter zwar zunächst überraschend, aber logisch. Denn regelbasierte Prozessautomatisierung (auch bekannt als Robotic Process Automation, RPA) ist im Vergleich zu KI einfacher und kostengünstiger umzusetzen und hatte für uns zusätzlich einen höheren kurzfristigen Nutzen. Wir haben also zunächst das Thema RPA zu einem globalen Service innerhalb von LEONI entwickelt.

Bild 1: Künstliche Intelligenz im Vergleich zur regelbasierten Prozessautomatisierung (RPA)

Als der RPA-Service etabliert war, ließen wir einen zweiten KI-Versuchsballon steigen. Bei einem abteilungsübergreifenden Workshop erläuterten wir LEONI-Mitarbeitern die Basics von KI und diskutierten mit ihnen eigene Ideen und Potentiale. Und siehe da, es ergaben sich einige realistische Anwendungsmöglichkeiten.

 

Was ist überhaupt KI?

Bevor ich unsere erste KI-Pilotanwendung beschreibe, ist ein Blick auf die KI selbst sinnvoll. Erst wenn man ihre Funktionsweise und Grenzen versteht und seine eigenen Anwendungsmöglichkeiten damit erkennt, wird aus einem unreflektierten „Hype“ eine realistische „Hoffnung“.

Dabei gilt zunächst: KI ist nicht gleich KI. Beispielsweise arbeitet sie mit vielen unterschiedlichen Dateiformaten als Eingangsdaten, wodurch sie in der Anwendung oft sehr unterschiedlich aussieht. Zum Beispiel basieren Umsatzprognosen auf Zahlen, die Qualitätskontrolle stützt sich auf Bilder und gewisse Automatisierungsprozesse verarbeiten Texte. Zudem haben Menschen nicht immer die gleichen Vorstellungen über KI.

Das ist kein Wunder, da es unterschiedliche Teilgebiete innerhalb der KI mit unterschiedlichen Anwendungsgebieten gibt.

Bild 2: KI und wichtige Teilgebiete

Ein Teilgebiet von KI ist das Maschinelle Lernen (ML), bei dem in einer ersten Phase Daten verwendet werden, um ein Modell zu entwickeln (Modellerstellung, vgl. Schritte eins bis vier in Bild 3). Dafür ist es zunächst notwendig, die jeweilige Problemstellung zu verstehen und die dafür relevanten Daten aufzubereiten. Löst das Modell die Aufgabenstellung hinreichend, wird das Modell in der zweiten Phase im Geschäftsalltag verwendet und ggf. sukzessive weiter optimiert (Schritte fünf und sechs).

Bild 3: Vorgehen bei KI-Pilotprojekten von LEONI in Anlehnung an CRISP-DM

Ohne KI wären wir raus – Schneller antworten auf die Kundenanfrage

In der Vergangenheit schickte ein bestimmter Kunde eine Anfrage mit einer Zeichnung und einer Leitungsliste des gewünschten Kabelsatzes und wir kalkulierten innerhalb einiger Wochen die Kosten. Heute sind die Fristen des Kunden zur Abgabe eines ersten Richtangebotes deutlich kürzer. Geben wir kein Richtangebot ab, scheiden wir bereits zu Beginn des Angebotsprozesses aus.

In unserem Pilotprojekt konzentrierten wir uns lediglich auf einen aufwändigen Kostenfaktor, nämlich die Arbeitszeit für die Kabelsatzproduktion. Um ein solches überwachtes Machine Learning Regression Problem zu lösen, benötigten wir zwei Eingangsdaten zur Modellerstellung: die Arbeitszeit (Target) und deren Einflussfaktoren (Features, vgl. Bild 4). Als Einflussfaktoren definierten wir schnell verfügbare und für die Arbeitszeitvorhersage relevante Daten vom Kabelbaum – wie etwa die Anzahl und Länge der Leitungen, die Anzahl der Steckverbinder, usw. Nach der Auswahl und dem Erheben dieser Daten aus alten Projekten mussten wir nun noch die korrekten Arbeitszeiten aus den normalen (länger dauernden) Kalkulationsprozessen hinzufügen, um die Trainingsdaten zu vervollständigen. Während des maschinellen Lernens werden dann die Beziehungen (Modellparameter) zwischen den Features (Einflussfaktoren) und dem Target (Arbeitszeit) „gelernt“. Das bedeutet ganz einfach, dass unterschiedliche mathematische Modelle (ML-Algorithmen) an den Trainingsdaten ausprobiert werden, um das beste Modell zu finden, das den Fehler zwischen Modellvorhersage und tatsächlicher Arbeitszeit minimiert. Ist das Modell genau genug, kann es bei einer neuen Anfrage verwendet werden, um eine Empfehlung zu generieren. Alles was benötigt wird, sind die Einflussfaktoren.

Bild 4: Vorgehen bei der Modellerstellung mittels Supervised Machine Learning (Regression) zur Abschätzung der Arbeitszeit

Wie gut funktioniert das Vorhersagemodell tatsächlich?

In unserem Fall nutzten wir in der Trainingsphase etwa 200 Kabelbaum-Datensätze aus der Vergangenheit, um aus vielen unterschiedlichen Modelle das beste auszuwählen. Anschließend haben wir es mit weiteren Kabelsatzdaten (aus etwa 50 anderen Kabelbaum-Projekten der Vergangenheit) gefüttert und seine Genauigkeit getestet. In dieser Validierungsphase machte das Modell die Vorhersagen allein auf Grundlage der gelernten Trainingsdaten und ohne menschliches Eingreifen.

Hier die Ergebnisse:

  • Bei den Validierungsdatensätzen prognostizierte das KI-Modell Fertigungszeiten, die durchschnittlich 4,1 Minuten von den tatsächlichen Arbeitszeiten (durchschnittlich etwa 58 Minuten) abweichen. Für große Kabelsätze ist das schon recht gut. Für kleine Kabelsätze hingegen muss das Modell noch verbessert werden, da der prozentuale Fehler bei kleinen Kabelsätzen steigt.
  • Bei einem separaten Testlauf mit acht neuen Anfragen für Kabelsätze (durchschnittlich 237 Minuten Fertigungszeit) lag die durchschnittliche prozentuale Abweichung des KI-Modell bei ca. 10 %. Lediglich bei einem einzelnen Kabelsatz mit mehr als 400 Minuten Fertigungszeit lag die Prognose um mehr als 20 % falsch. Der Grund dafür liegt in den Trainingsdaten für das Modell: Im Training war kein vergleichbar großer Kabelsatz vorhanden.

Bei der Modellerstellung und -nutzung sind uns einige Aspekte im Zusammenhang mit KI bewusstgeworden:

  • Wenn die Trainingsdaten für die Modellentwicklung in Phase 1 schlecht sind, wird auch die Modellvorhersage in Phase 2 schlecht sein.
  • Wenn die Trainingsdaten aus Phase 1 sich stark von den neuen Anfragedaten in Phase 2 unterscheiden, können die KI-Ergebnisse ebenfalls unzuverlässig sein.
  • RPA und KI profitieren voneinander. Wo RPA im Einsatz ist, können die Prozessdaten automatisch gespeichert und für das Modell-Training verwendet werden (RPA, der Datensammler). Andersherum erweitert KI durch seine Möglichkeiten den (rein regelbasierten) Spielraum von RPA und damit die Anzahl der Prozesse, die automatisiert werden können, z. B. durch das 'Verstehen' einer E-Mail.
  • Will man die Genauigkeit eines ML-Modells verbessern, hat man mit besseren und mehr Daten in der Regel einen größeren Stellhebel als mit der X-ten Optimierung der Modelleinstellungen. Durch das Sammeln neuer Datensätze, kann dem Modell ein immer größerer Datenpool zu Verfügung gestellt werden.
  • Es empfiehlt sich, zunächst mit einer einfachen und überschaubaren Pilotanwendung zu starten.

 

Wie geht es mit KI weiter? Was erwarten wir in Zukunft?

Zum einen haben wir bei LEONI weitere Anwendungen im Blick, sowohl auf Basis von Zahlen für unterschiedliche Arten von Prognosen als auch von Bilddaten (z.B. Qualitätskontrolle). Außerdem machen wir uns Gedanken über die Anwendung von Large Language Models. So haben wir zum Beispiel das in der Microsoft-Suchmaschine Bing integrierte Modell GPT-4 von OpenAI gebeten, den erforderlichen Softwarecode zur Modellerstellung und -evaluierung für den oben genannten Anwendungsfall zu generieren. Zu unserer Freude hat GPT-4 den Python-Code tatsächlich generiert. Dieser ist natürlich mit Vorsicht zu genießen. Man sollte schon genau wissen, welche Tücken und Lücken die Ergebnisse von KI-generiertem Text oder Code aufweisen können. Aber es besteht die reale Chance, mithilfe von KI auch KI-Code zu generieren – und zwar um einiges schneller als zuvor.

Der Nutzen von KI in der Zukunft? Das ist schwer vorherzusagen. Wir bei LEONI haben die ersten Anwendungsmöglichkeiten für KI gefunden. Finden Sie Ihre!

AUTOR

Michael Grade

Product Owner Machine Learning, LEONI Bordnetz-System GmbH

Haben Sie Fragen?

Wir helfen Ihnen gerne weiter und freuen uns auf Ihre Anfrage.

Telefon +49 9321 304-0
E-mail blog@leoni.com

Teilen
Feedback
Sprachen
Kontakt