Ein Netz, das sich selbst überwacht

Mit der Digitalisierung wachsen Energie- und Datenströme. Durch intelligente Kabel und ein neues Ökosystem möchte LEONI dazu beitragen, dass Daten- und Stromnetze noch effizienter und zuverlässiger werden.

Servicetechniker Christian T. zieht den Stecker und hängt ihn an der Ladesäule ein. Das dürfte für die nächsten 250 Kilometer reichen, weiter muss er heute nicht. Bezahlt hat er vorab per Smartphone, also heißt es nach knapp zehn Minuten Ladezeit: Einsteigen und Weiterfahren. Doch kaum sitzt er hinter dem Steuer, erhält er eine Textnachricht: „Drohender Wassereintritt, Knoten DE-CIX1, EV-Kabel 3, Abschnitt C1, Position 331“. Christian T. weiß, was das bedeutet: An einem der größten Internetknoten des Kontinents ist eines der stromzuführenden Kabel beschädigt. Er bestätigt den Auftrag umgehend, in einer Viertelstunde wird er vor Ort sein. Anders als noch vor wenigen Jahren wird er dort nicht lange nach der schadhaften Stelle suchen müssen. Denn das intelligente Kabel, Urheber der Textnachricht, hat nicht nur eindringende Feuchtigkeit festgestellt, sondern kann diese auch genau lokalisieren.

Zugegebenermaßen: Diese Geschichte ist rein fiktiv. Und doch spiegelt sie die wachsende Abhängigkeit einer modernen Gesellschaft von Daten- und Energieströmen. Dass Elektroautos ohne Strom nicht fahren, ist klar. Aber der regenerativ erzeugte Strom muss auch an der Schnellladesäule bereit stehen – angesichts des schwankenden Angebots an Sonnen- und Windstrom eine komplexe Regelungsaufgabe, die ohne beständigen Informationsfluss zwischen Erzeugern und Verbrauchern nicht funktioniert. Und ohne Datenaustausch im Hintergrund funktioniert auch das eigentliche Laden des Elektrofahrzeugs nicht: Denn mit Bargeld wird an der Ladesäule wohl kaum bezahlt.

In der Gesellschaft 4.0 sind nahezu alle Lebenswelten des Menschen elektrisch und datentechnisch vernetzt: Am Arbeitsplatz, zuhause, unterwegs. Drahtlose Kommunikation und induktive Stromübertragung decken dabei nur einen relativ kleinen Anteil der stetig wachsenden Vernetzung ab: beide kommen zum Einsatz, wenn entweder die Distanz verhältnismäßig kurz oder die benötigte Übertragungsrate relativ klein ist. Wo es gilt, viele Daten oder viel Strom sehr sicher und schnell zu übertragen, führt oftmals noch kein Weg am Kabel vorbei. Das zeigt das Beispiel 5G: Zwar wird das Mobilfunknetz der Zukunft Bandbreiten von bis zu 10 Gigabit pro Sekunde bieten. Die Antennen sind jedoch in deutlich engerem Abstand als bei der heutigen LTE-Technik aufzustellen und wiederum über ein Glasfaser-Hochgeschwindigkeitsnetz an das Hauptnetz angebunden.

Dem steigenden Bedarf entsprechend wird nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt der Ausbau der Daten- sowie der Stromnetze vorangetrieben. Das gilt im übrigen nicht nur für die öffentlichen Netze, sondern insbesondere auch für die Vernetzung in Maschinen, Anlagen, Robotern oder an Bord eines Fahrzeuges. So positiv dieser Trend für LEONI auch ist: Es geht nicht darum, möglichst viele Kabelmeter zu verkaufen, sondern optimale Lösungen für die jeweilige Anwendung. Deshalb schaffen wir eine Simulation-Plattform, auf der die Topologie komplexer Netze als digitaler Zwilling nachgebildet und optimiert werden kann – und zwar abhängig von den tatsächlichen oder erwarteten Energie- und Datenströmen im Betrieb. Wesentliches Element der Plattform ist eine umfangreiche Bibliothek physikalischer Modelle für alle Netzwerkkomponenten einschließlich typischer Verbraucher oder Umrichter. Mit Hilfe der einzelnen Bibliothekselemente kann künftig eine funktionale Simulation in sehr kurzer Zeit durchgeführt werden, um sowohl Überdimensionierungen als auch Engpässe zu vermeiden.

Sind die Kabel einmal installiert, ist nur noch eines wichtig: Ein störungsfreier Betrieb. Dafür sorgt das sich selbst überwachende, intelligente Kabel LEONiQ. Dessen technische Grundlage ist ein Miniatur-Koax-Kabel mit einem Durchmesser von unter einem Millimeter, das nahezu in jedes beliebige Kabelsystem integriert werden kann. Das Coax wird dabei in frei definierbaren Intervallen mit einem Signal beschickt, das von einer Elektronik in Größe eines USB-Sticks analysiert wird. Dies kann natürlich in bestehende Elektronik integriert werden. Anhand der Signalveränderung ist es dabei möglich, einige Schlüsselparameter wie Temperatur, Dichtigkeit und mechanische Belastung entlang des gesamten Kabels zu überwachen. So können beispielsweise auftretende „Hot Spots“, also Überlastpunkte, anhand der erhöhten Temperatur sicher detektiert und lokalisiert werden.Wie in obigem Beispiel kann so eine vorbeugende Wartung initiiert werden. Ähnliche Lösungen auf Basis faseroptischer Sensorik existierten bereits in der Vergangenheit, aufgrund der hohen Kosten war deren Einsatz allerdings nur in sehr wenigen Anwendungsfällen ökonomisch sinnvoll. Mit der kupferbasierten LEONiQ-Technik steht einem breiten Einsatz in verschiedensten Anwendungsbereichen nun nichts mehr entgegen.

Letzter, aber nicht unwichtiger Teil einer Gesamtlösung für ein intelligentes und lernendes System für die Energie- und Datenübertragung stellt unsere Cloud-basierte Lösung für die Datenanalyse dar. Denn jenseits der aktuellen Funktionsüberwachung liefern die Zustandsdaten langfristig wichtige Informationen, die für die weitere Optimierung der bestehenden Kabellösungen oder auch vergleichbare künftige Anwendungen genutzt werden können. Die anwendungsspezifischen Algorithmen für Analyse und Prädiktion sowie den Feedback-Loop in unsere digitalen Modelle entwickeln wir Schritt für Schritt zu einem lernenden System.

Durch die langjährige Erfahrung in vielen Branchen wie Automobil, Energietechnik, Robotik und vielen anderen Industrien verfügen die LEONI-Entwickler über erhebliches Domänen-Know-how, das in die Entwicklung dieses digitalen Ökosystems einfließen wird. Aber noch wichtiger ist es uns, in den einzelnen Branchen führende Technologiepartner zu finden. Wir sind davon überzeugt, dass im intelligenten Kabel erhebliches Produktivitätspotenzial steckt. In den kommenden Monaten werden wir in diesem Blog regelmäßig über neue Projekte und Anwendungsbereiche berichten. Wir freuen uns, wenn Sie uns folgen – und noch mehr, wenn wir sie so neugierig gemacht haben, dass sie mit uns gemeinsam die digitale Transformation in der Energie- und Datenübertragung gestalten möchten.

Torsten Schierholz
Chief Solutions Officer

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